Gartentherapie für Rheumabetroffene

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Gartenarbeit Schneiden

Unser Besuch bei der Gartengruppe der Rheumaliga Bern beginnt mit einer kleinen Enttäuschung. Es begrüssen uns hinterm ehemaligen Gästehaus des Gymnasiums Hofwil in Münchenbuchsee BE gerade mal zwei Frauen, Käthi und Erika. Wo ist der Rest der fünfköpfigen Gruppe?

Die Frage klärt sich schnell. Die eine sei in den Ferien, die andere habe einen wichtigen Termin und die dritte einen schweren Entzündungsschub – typisch für den unberechenbaren Verlauf vieler rheumatischer Krankheiten.

Offenkundig sind die Hobbygärtnerinnen gegenseitig auf dem Laufenden und schauen zueinander. Kennengelernt haben sie einander erst in der Gruppe, aber der Garten hat sie in wenigen Wochen zu einer «verschworenen Bande» gemacht, wie Erika es mit einem Augenzwinkern ausdrückt. Jede wolle mitschaffen. «Keine Lust» sei keine Entschuldigung und schlechtes Wetter keine Ausrede. Man treffe sich auch bei Regen oder wenn man die Beete von Schnee befreien müsse.

Gartenpflege als Therapie

Über die Gartentherapie gibt es schon einen Haufen wissenschaftlicher Arbeiten, die ihren vielfältigen Nutzen dokumentieren. Das Ablesen feiner Bohnen oder mexikanischer Minigurken zum Beispiel trainiert die Feinmotorik, und es gibt keine bessere Schulung der Sensorik, als mit sanftem Druck und Zug zu prüfen, ob eine optisch reife Tomate auch schon pflückreif sei. Zudem üben das vorsichtige Lockern der Erde um die Pflanzen herum oder das Eingraben von Setzlingen die Kraft und die Koordination der Hände.

Bohnenlesen
Lucia Illi Gartensitzbank
Lucia Illi, dipl. Ergotherapeutin FH und Biobäuerin mit zertifiziertem Biohof

Sicherzustellen, dass alle Gartenarbeiten in günstiger Körperhaltung und ohne eine übermässige Belastung der Gelenke erfolgen, ist Aufgabe der Gruppenleiterin. Lucia Illi bringt als Ergotherapeutin und Biogärtnerin zweierlei wertvolles Wissen ein und gibt individuelle Tipps unter Berücksichtigung der in der Gruppe vertretenen Krankheitsbilder. Drei der fünf Frauen haben eine diagnostizierte rheumatoide Arthritis. Ferner sind in der Gartengruppe vertreten: Arthrose, Osteoporose, Morbus Bechterew und Rückenschmerzen.

Die Gruppe trifft sich jeden Donnerstag zum gemeinsamen Gärtnern und macht sich nach einem schon verinnerlichten Programm an die Arbeit: erst den Boden lockern, dann ernten und im Anschluss daran die übrige Gartenpflege: säen oder setzen, giessen, jäten, zurückschneiden, hochbinden usw. Den Abschluss bilden Dehn- und Bewegungsübungen für den Nacken, die Schultern und den Brustkorb zum Ausgleich der bei vielen Gartenarbeiten tendenziell vorgeneigten Körperhaltung.

Gartenarbeit Anpflanzen
Hochbeete

Zur Schonung der Rücken wurden im Garten sechs Hochbeete angelegt, wobei man die gekauften Holzwände um 20 cm auf eine wirklich ideale Höhe (90 cm) hat erhöhen müssen. Jedes Mitglied der Gartengruppe hat sein eigenes Hochbeet, bepflanzt nach den individuellen Vorlieben. Aber man kümmert sich ebenso um die Hochbeete der Abwesenden. Daneben umfasst der Garten einige flache Beete mit Kartoffeln, Kohlgemüse, Tomaten, Buschbohnen und Gartenblumen für die Wildbienen sowie einen Komposthügel mit Kürbissen.

Blume Biene
Gartenarbeit Waessern

Vorteile und Wirkungen der Gartentherapie

Körperlich

Gartenarbeit ist ein abwechslungsreiches Ganzkörpertraining im Freien, ausgeführt im Stehen, im Gehen, im Sitzen oder – wer noch mag – auf den Knien (auf einem weichen Kniekissen). Dabei sorgt das etwas unebene Terrain eines Gartens mit seinen Erdbrocken und den Trampelpfaden zwischen Beeten und Stauden für ein natürliches Gangsicherheitstraining. Und schliesslich findet die Arbeit im Garten ihre logische Fortsetzung in allerlei Küchenarbeiten zu Hause, will man doch die Ernte frisch verarbeiten, die feinen Bergauberginen zu einem Chutney einkochen oder die vielen Bohnen für den späteren Genuss blanchieren und einfrieren.

Seelisch

Der Umgang mit Pflanzen, Erde und Wasser wirkt auch auf den Geist und die Seele. Besonders wertvoll ist die intensive Beziehung zu den natürlichen Prozessen und Rhythmen des Wachsens, des Reifens und des Vergehens. In der Gruppe sind auch Enttäuschungen leichter zu verkraften. «Schnecken, Ameisen, Mäuse, wir hatten alles», fasst Käthi die gemeinsam überstandenen Tiefschläge des Gartenjahres 2019 zusammen.

Sozial

Gartenarbeit übt das Teamwork: Jemand befreit die Setzlinge aus der Anzuchtschale, eine Zweite setzt und eine Dritte wässert die Setzlinge. Gleichzeitig unterhält man sich bei der Gartenarbeit, erzählt aus seinem Leben, berichtet von seinen aktuellen Sorgen, kann scherzen und lachen. Die Zeit im Garten vergehe immer wie im Flug.

Ernährung

Die Frauen der Gartengruppe verarbeiten und konsumieren den Grossteil der Ernte selber. Das bleibt nicht ohne Einfluss auf die Ernährungsweise. Erika zum Beispiel ist in der Gartengruppe erst so richtig auf den Geschmack gekommen: «Ich habe viele neue Sorten entdeckt und esse nun sehr viel mehr Gemüse als vorher.»

Gartengruppe 3 Frauen
Gartenarbeit Ernte
Reiche Ernte bei unserem Besuch Ende August 2019

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