Die Kampagne «Ich und mein Rheuma» zeigt sich im Juni 2020 in Zürich, Winterthur, Basel, Bern und Luzern fahrend auf zahlreichen Velos der Working Bicycle AG. Susi Dräyer, RA-Betroffene und eine der Fahrerinnen für die Kamapgne «Ich und mein Rheuma» berichtet im Interview über ihren Alltag mit Rheumatoider Arthritis und weshalb ihr Aufklärung über Rheuma ein grosses Anliegen ist.
Working Bicycle: Kannst du uns kurz etwas zu deiner Person erzählen?
Susi Dräyer: Ich bin Susi Dräyer und bin 38 Jahre alt. Bevor ich die ersten Krankheitssymptome hatte, war ich sehr sportlich. Auch jetzt versuche ich, mich so viel wie möglich zu bewegen. Durch die ständigen Schmerzen ist das leider nicht immer möglich. Am liebsten bin ich auf dem Fahrrad am Mountainbiken oder im Wasser am Kitesurfen. Ein anderes Hobby bei dem ich sehr viel Entspannung finde, ist mein Garten. Den geniesse ich sehr. Vor meiner Diagnose, der rheumatoiden Arthritis (RA) habe ich als Fachschwester für Intensivpflege gearbeitet. Aufgrund meiner Medikation hatte ich aber ein zu hohes Infektionsrisiko und habe mich deshalb zur Hebamme umgeschult.
Welche Art von Rheuma hast du?
Ich leide unter einer RA (Rheumatoide Arthritis). Da in meiner Familie keine Erkrankungen solcher Art bekannt sind, wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass die starken Gelenkschmerzen die Symptome einer RA sein könnten. Ich hatte die üblichen Symptome und habe mich immer abgeschlagen gefühlt, hatte Schmerzen und Gelenkentzündungen. Dadurch, dass ich so viel Sport gemacht habe, dachte ich zuerst, es komme von den vielen Trainingseinheiten. Irgendwann wurden die Symptome aber unerträglich und ich wusste, es muss etwas anderes sein. Die Symptome sind: Schmerzen, Schwäche in den Fingern, mehrstündige Morgensteifigkeit der Extremitäten, nächtlicher Nervenschmerz sowie Gelenkentzündungen vor allem in den Händen und Füssen.
Wie schränkt dich Rheuma im Alltag ein?
Im Alltag zeigt es sich dadurch, dass ich keine Kraft habe und somit Flaschen nicht öffnen, Reissverschlüsse nicht schliessen kann, oder dies nur mit Schmerzen und Unterstützung möglich ist. Ich versuche, meinen Alltag so gut wie möglich zu gestalten und zu akzeptieren, dass es neben den leichteren Tagen auch Phasen gibt, die anstrengender sind. Ich musste mich daran gewöhnen, dass ich für alles länger brauche. Gerade am Morgen, die Treppe herabsteigen oder das Anziehen, braucht deutlich mehr Zeit und die muss ich mir einplanen.
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Es gibt vier verschiedene Stärke- oder Medikamentenklassen. Angefangen habe ich mit einem Basismedikament (Anti-Malaria-Medikament), was die Entzündungsreaktion im Körper herabsetzt. Die Symptome blieben, also wurde stattdessen ein anderes Basismedikament (Zytostatika, Methotrexat in Tablettenform) eingesetzt. Die Entzündungsreaktion schwächte sich ab, aber da ich stark unter den Nebenwirkungen gelitten habe, wurde daraufhin die Therapie mit Immunsuppressiva (TNF-Alphablocker – Simponi) ausprobiert. Mit diesen monatlichen Spritzen war ich sehr gut eingestellt. Ich habe die RA eigentlich in den Hintergrund stellen können und schon fast vergessen. Da sich aber eine Nebenwirkung, sog. Pustulose gebildet hat, musste dieses Medikament wieder abgesetzt werden. Nun starten wir bald mit einem neuen Immunsuppressiven Medikament (Actemra - ist ein humanisierter, monoklonaler Antikörper gegen den Interleukin-6 (IL-6)-Rezeptor), welches ich mir wöchentlich als Injektion wieder selbst verabreichen werde.
Befolgst du eine spezielle Ernährungsform?
Am Anfang konnte ich gar nicht akzeptieren, dass ich diese chronische Erkrankung habe und ich meiner Ansicht nach, so ein Gift nehmen muss, um die Erkrankung zu behandeln. Man muss beachten, dass es ein ganzheitliches Bild ist. Ich habe viel Achtsamkeitstraining gemacht und verzichte auf Fleisch und Alkohol. Als das letzte Medikament abgesetzt wurde, lebte ich zwei Monate vegan und trotzdem erging es mir immer schlechter und es hat mir in dieser akuten Entzündungsphase nichts geholfen. Ich musste auch akzeptieren, dass diese Entzündungsreaktion immer in mir sein wird und nicht einfach wieder verschwindet. Durch bewusste Ernährung und Verhaltensänderungen kann ich jedoch den Verlauf positiv beeinflussen.
Wie hilft dir Sport in deinem Alltag?
Fahrradfahren und Schwimmen sind die zwei einzigen Sportarten, die ich ohne Beschwerden ausführen kann. Wenn ich mit dem Fahrrad auf den Gurten fahre, dann fühle ich mich lebendig. Es ist eine Sportart, die ich mit meiner Familie teilen kann und die Gemeinschaft tut mir physisch und psychisch gut, da ich so aktiv am Familienleben teilnehmen kann. Die Ausfahrten in die Natur bieten einen zusätzlichen Erholungsfaktor.
Wie war der Moment deiner Diagnose?
Ab 2013 hatte ich bereits Symptome und die Diagnose kam im Jahr 2014. Dadurch, dass ich aus dem medizinischen Umfeld komme, dachte ich, ich hätte einen Gichtschub. Die Diagnose RA war unerwartet und ich dachte: Was? Nein? Ich habe doch kein Rheuma. Ich habe es verdrängt, nicht annehmen und akzeptieren können und mich zuerst gewehrt. Den Beginn der nötigen medikamentösen Therapie, habe ich immer wieder rausgeschoben. Ich dachte auch «Okay, dann habe ich das jetzt, ich werde es wieder los», aber das ist bis heute nicht passiert.
Was wünschst du dir von der Gesellschaft im Umgang mit Rheuma?
Ich muss ehrlich zugeben, bevor ich selbst betroffen war, habe ich Rheuma in Verbindung mit älteren Menschen gebracht. Mir ist nicht bewusst gewesen, wie einschränkend es sein kann und ich habe Verständnis für die Gesellschaft. Wenn jemand nicht selbst betroffen ist, ist es sehr schwierig, dafür Verständnis aufzubringen. Es besteht kaum Wissen über Rheuma und das ist es, was ich mir durch die Kampagne erhoffe: Dass eine Sensibilisierung stattfindet und dadurch die Leute mit dem Thema in Kontakt kommen, eventuell darüber recherchieren und RA-Betroffene wahrgenommen werden.
Findest du, dass die Gesellschaft genügend über Rheuma informiert ist?
Wie bereits erwähnt, wissen die meisten Menschen zu wenig. Wenn man sich für das Thema interessiert, findet man sehr viele Informationen, diese sind allerdings nicht offensichtlich. Die Kampagne ist eine geniale Möglichkeit. Sie fällt auf und das Thema ist plötzlich im Blickfeld und vielleicht setzen sich so mehr Leute mit Rheuma auseinander.
Möchtest du anderen Rheuma-Erkrankten noch etwas mitgeben?
Ich weiss, dass der tägliche Schmerz oder die Ungewissheit, wann wieder ein schlechter Tag kommt, es schwierig machen, positiv zu bleiben. Mir hilft in den schlechten Phasen darauf zu fokussieren, was alles geht und nicht darauf, was nicht. Trost zu suchen hilft auch, denn geteiltes Leid ist halbes Leid! Ich empfehle allen Betroffenen den Mut zu haben, sich ungeniert Hilfe zu holen, den Austausch mit anderen Betroffenen zu suchen und sich gegenseitig Mut zuzusprechen. So merkt man, dass man nicht allein ist und das nimmt einem zwar nicht den Schmerz, aber es tröstet zumindest ein wenig.
Wie findest du die Kampagne der Rheumaliga auf unserem Werbemittel – dem Fahrrad?
Ich bin ein Velofreak und finde das Konzept toll. So verändert sich auch jeweils der Standort und die Werbebox fällt auf. Ich finde es eine sehr gute Möglichkeit, so das Bewusstsein auf die Rheumaliga zu lenken.
Kanntest du die Rheumaliga schon vor der Kampagne?
Ja, ich bin auch Mitglied und konnte schon von dem breiten Angebot der Rheumaliga profitieren. Für die Betroffenen ist die Rheumaliga sehr wichtig. Sie ist auf unheimlich vielen verschiedenen Ebenen sehr kompetent und unterstützt professionell.
Wieso engagierst du dich für die Kampagne der Rheumaliga?
Ich bin schon eine ganze Weile bei Working Bicycle angemeldet, habe die Kampagnen auch immer verfolgt, aber mich nie beteiligt. Als ich diese Kampagne gesehen habe, wollte ich mich dafür anmelden, da ein grosses persönliches Anliegen dahintersteckt. Da ich selbst betroffen bin, ist es vielleicht auch ein "Coming Out". Man sieht die Erkrankung den Leuten nicht an. Ich finde das die Rheumaliga eine Organisation ist, die jegliche Unterstützung verdient hat.
Datum des Interviews: 13. Juni 2020
Die auffälligen Velo-Boxen der Working Bicycle AG machen fahrend auf die Kampagne der Rheumaliga aufmerksam.