Die 34-Jährige beeindruckte nicht nur die Jury der Rheumaliga Schweiz mit ihrem Text. Ihr Beitrag überzeugte auch im internationalen Vergleich und holte den 3. Platz beim Edgar-Stene-Preis 2023.
«Wie hat eine gute Kommunikation mit der Ärztin oder dem Arzt Ihr Leben mit einer rheumatischen Erkrankung verbessert?». Diese Frage richteten die Initianten des Edgar-Stene-Preises 2023 an Betroffene aus ganz Europa. Dass zu diesem Thema viele Menschen mit einer rheumatischen Erkrankung etwas zu sagen haben, zeigte sich an der hohen Anzahl der Einsendungen.
Auf den 3. Platz schaffte es der Text «Zwischen Hoffen und Bangen» von Annette Vogt aus der Schweiz. Die Jury war beeindruckt von der Klarheit des Aufsatzes und der Art und Weise, wie die 34-Jährige aus Emmenbrücke ihre Erfahrungen anhand eines konkreten Beispiels schildert und ihre Gefühle, Sorgen und Erwartungen beschreibt, mit denen sich viele Betroffene identifizieren können.
Wir gratulieren Annette Vogt ganz herzlich zu diesem Erfolg und wünschen ihr viel Glück auf dem weiteren Weg. An dieser Stelle möchten wir uns auch bei allen anderen Autorinnen bedanken, die ihre persönlichen Geschichten mit uns geteilt haben. Danke für Ihr Vertrauen und auch Ihnen alles Gute!
Dieser Artikel wurde von Simone Fankhauser, Redaktorin forumR, für die forumR Ausgabe 2-2023 geschrieben.
Annette Vogt ist 34 Jahre alt und lebt mit ihrem Partner in Emmenbrücke. Die studierte Betriebswirtin arbeitet heute im Human Resources (HR), wo sie für das Vergütungs- und Bonus system verantwortlich ist. Die grosse Leidenschaft der RA-Betroffenen ist das Laufen, insbesondere das Trailrunning.
Hier folgt der eingereichte Text von Annette Vogt:
Zwischen Hoffen und Bangen
Meine Herzfrequenz steigt, mein Atem wird flacher, meine Nerven flattern vor Aufregung, mein Mund ist ganz trocken und meine Hände sind kalt. Mein ganzer Körper ist angespannt. Es fühlt sich an, wie kurz vor meinem letzten Vorstellungsgespräch, als ich mich um meine Traumstelle beworben habe. Doch dieses Mal habe ich mich nicht auf eine neue Stelle beworben, sondern sitze im Wartezimmer eines Rheumatologen. Nervös schaue ich auf die Uhr. «Wann geht es endlich los?», frage ich mich. In meinem Kopf schwirren viele Fragen. Ich hoffe, dass ich während dem heutigen Termin Antworten bekomme.
Ich habe Angst. Angst, dass meine Blutwerte nicht in Ordnung sind. Angst, dass es heisst, ich kann nicht mit dem Auswaschen des Leflunomids beginnen. Angst, dass mein grosser Traum einer eigenen Familie zerplatzt. Angst, dass die neue Therapie nicht anschlagen wird. Angst vor einer neuen Hiobsbotschaft. Auf einmal geht die Tür auf und ich werde in das Sprechstundenzimmer gebeten. Ich versuche mich zu beruhigen, indem ich tief durchatme. Es gelingt mir nur bedingt. Der Arzt beginnt das Gespräch. Die Worte wirken beruhigend auf mich.
Ich beginne mich langsam zu entspannen. Es ist ein Austausch auf Augenhöhe. Ich schöpfe Vertrauen. Er nimmt sich Zeit, meine Fragen ausführlich zu beantworten. Mit einfachen Worten erklärt er mir, wie das Auswaschverfahren abläuft, welche Nebenwirkungen auftreten können, wie ich mich darauf vorbereiten soll und welche weiteren Therapieschritte danach anstehen. Auf meine Bedenken und Ängste geht er detailliert ein und schafft es, diese mit guten Erklärungen plus aktuellen Studienergebnissen aus dem Weg zu räumen. Ich fühle mich ernst genommen. Endlich bekomme ich die Antworten auf all meine Fragen. Obwohl viele schon im Feierabend sind, nimmt er sich Zeit für dieses Gespräch und fragt nach, ob ich noch weitere Fragen habe. Ich verlasse die Praxis anschliessend mit einem sehr guten Gefühl.
Drei Wochen später
Das Auswaschen liegt hinter mir. Es ist mir während diesen Tagen so gut wie schon lange nicht mehr ergangen; ich sprühte vor Energie. Die angesprochenen Nebenwirkungen sind bei mir nur bedingt aufgetreten, obwohl ich normalerweise einen sensiblen Magen habe und schnell zu Übelkeit neige. Dieser Zustand ändert sich leider bald. Eines Morgens erwache ich erneut mit Gelenkschmerzen in den Händen und ich fühle mich abgeschlagen. Zum Glück habe ich zwei Tage später einen Kontrolltermin beim Rheumatologen. Erneut schafft er es, mich zu beruhigen, indem er mir erklärt: «Die Symptome werden sich bald bessern. Das Biologika wird schnell anschlagen.» Tatsächlich geht es mir wenigen Tagen wieder sehr gut. Zehn Tage später absolviere ich einen Halbmarathon. Nur schon an der Startlinie zu stehen, ist ein riesengrosses Geschenk für mich in dieser besonderen Situation. Ich bin überglücklich, dass ich an diesem Tag eine sehr gute Leistung zeigen kann.
Wenige Worte, die eine grosse Bedeutung haben
Ich frage mich immer wieder, weshalb es mir während dem Auswaschen so gut ging. Rückblickend stelle ich fest, dass es mein Rheumatologe geschafft hat, mir während diesem Gespräch die Angst zu nehmen und ich deshalb mit einer ganz anderen Einstellung das Auswaschen angegangen bin. Es ist mir zudem gelungen, Vertrauen zu gewinnen, dass es gut kommt.
Nicht nur diese Situation zeigt mir, was eine gute Kommunikation ausmacht und wie ich mich dadurch deutlich besser fühle. Für Aussenstehende mögen dies banale Fragen sein. «Wie sind die Prüfungen für Sie gelaufen? Haben Sie nun Semesterferien?» oder «Wie sehen Ihre Ferienpläne aus?» Dabei wird mir dass ich nicht nur als Patientin mit meiner Krankheit gesehen werde, sondern als Mensch mit persönlichen Zielen und Projekten im Leben. Ich bin immer dabei unterstützt worden, dass ich grosse Träume wie ein Erasmus- Semester in Paris, Auslandaufenthalte oder eine sechsmonatige Südamerikareise realisieren konnte. Gemeinsam habe ich mit dem Rheumatologen nach Lösungen gesucht, wie ich die Therapie im Ausland fortsetzen konnte.
Ein Kreis, der sich schliesst
Obwohl ich mich nicht auf eine neue Stelle beworben habe, sehe ich zahlreiche Parallelen zwischen einem Vorstellungsgespräch und einem guten Gespräch zwischen Arzt und Patienten. Wie bei einem Vorstellungsgespräch sind für mich die ersten Minuten einer Konsultation entscheidend. Gelingt es dem Arzt, eine angenehme Gesprächsatmosphäre herzustellen oder mich bei grosser Nervosität zu beruhigen, dann fühle ich mich auch als Patientin wohl. Dies ist wiederum die Grundlage für Vertrauen und eine erfolgreiche Therapie.
Ebenso zentral sind der Abschluss und die Besprechung des weiteren Vorgehens. Weiss ich als Patientin, auf was ich speziell achten muss oder wie ich bei Nebenwirkungen reagieren soll, sind dies gute Voraussetzungen für den Therapieerfolg. Aber auch ausreichend Zeit für Fragen erachte ich als wichtigen Punkt, um allfällige Ängste oder Bedenken aus dem Weg zu räumen. Am Schluss möchte ich die Praxis verlassen und so viele Informationen wie möglich zur Therapie erhalten haben. Meine offenen Fragen sollen geklärt sein. Während eines Vorstellungsgesprächs möchte ich ebenfalls möglichst viele Informationen über die Stelle, das Team und die Unternehmung erfahren.
An der Startlinie
Ich stehe an der Startlinie und binde mir die Laufschuhe für mein nächstes grosses Projekt. Es liegt ein Weg mit vielen steilen, aber auch flowigen Abschnitten vor mir. Ich fühle mich nun mental und körperlich gut darauf vorbereitet. Ein Zeit-Ziel setzte ich mir bewusst nicht. Sonst setze ich mich nur unnötig unter Druck. Ich werde im Ziel ankommen, wenn es so weit ist. Ich weiss, dass ich zahlreiche Supporter an meiner Seite habe und unterwegs immer auf die Unterstützung von jemandem zählen kann. Eine Aussage werde ich mir immer wieder vor Augen führen, wenn ich unterwegs auf steinige Passagen stossen oder mich fragen werde, weshalb bei mir alles länger dauert: «Am Schluss wollen wir nur das Beste für das Kind.»