Monatelang wusste Loredana Fabiani nicht, woher die Schmerzen in ihrem ganzen Körper kommen. Die Diagnose Rheuma war Erleichterung und Schock zugleich. Heute kann sie mit wenig Medikamenten und einer angepassten Ernährung ihren Leidenschaften wieder nachgehen.
Text: Simone Fankhauser
Fotos: Susanne Seiler
Das Jahr 2017 hätte nicht besser laufen können für Loredana Fabiani. Mit 30 Jahren arbeitete sie als Leitung Buchhaltung bei einem Blumengrosshandel. Nebenbei eröffnete sie erfolgreich eine Paintball-Halle, trieb viel Sport und war frisch verliebt. Alles schien perfekt. Bis zu diesem Morgen im Dezember, an dem sich ihr Körper anfühlte, als wäre sie einen Marathon gelaufen. «Ich dachte, ich werde krank und das sind Gliederschmerzen», erinnert sich die heute 35-Jährige.
Doch die Tage vergingen, ohne dass sich die Beschwerden besserten. Aufgrund der stark erhöhten Entzündungswerte vermutete der Hausarzt eine nicht ausgeheilte Erkältung als Ursache. Er verschrieb seiner Patientin Schmerz- und starke Erkältungsmittel. Aber der muskelkaterartige Schmerz blieb. «Dieser Zustand raubte mir viel Energie. Ich wusste nicht, was mit mir los war. Ich war dünnhäutig und weinte jeden Tag vor Schmerz.»
Irgendwann überwies ihr Hausarzt sie an einen Rheumatologen. Statt einer Diagnose erhielt sie Kortison, was ihr Leiden tatsächlich linderte. Aber sie fühlte sich nicht wohl, weder mit dem Arzt noch mit dem Medikament. Beim Versuch, die Dosis zu reduzieren, kamen die Beschwerden zurück.
Auf dem Papier gesund
Ihre grösste Stütze in dieser schwierigen Zeit war ihr Partner. Obwohl sie damals erst drei Monate zusammen waren, blieb er an ihrer Seite. Er knöpfte ihr die Hose zu, wenn sie die Finger nicht biegen konnte. Er schnürte ihr die Schuhbändel und drückte die Zahnpasta aus der Tube. Er war es auch, der seine verzweifelte Freundin zum Hausarzt begleitete und insistierte, sie zur Abklärung ans Universitätsspital Zürich zu überwiesen.
«Rund 30 Tage später sass ich in der Sprechstunde meines heutigen Rheumatologen. Dieser Wechsel war die beste Entscheidung. Der Arzt versicherte mir, dass wir gemeinsam eine Therapie finden werden, die für mich stimmt.» Die umfangreichen Laboruntersuchungen zeigten jedoch keine Auffälligkeiten. Auf dem Papier war sie ein kerngesunder Mensch. Aufgrund ihrer Beschwerden vermutete der Facharzt aber eine rheumatoide Arthritis. Die rasch eintretende Wirkung von Methotrexat (MTX) bestätigte diese Vermutung.
Etwas später kam der Verdacht auf eine Psoriasis Arthritis auf, da Loredana Fabiani zusätzlich mit Hautproblemen an den Ellenbogen und hinter dem Ohr kämpft. «Ich war froh, endlich eine Diagnose zu haben», sagt die passionierte Paintball-Spielerin. «Doch als ich im Internet die Einträge zu Rheuma las, erhielt ich den Eindruck, ich leide an einer Krankheit, die nur alte Menschen betrifft. Mir wurde empfohlen Nordic Walking oder Wassergymnastik zu machen. Ich dachte mein Leben ist vorbei».
Ich war froh, endlich eine Diagnose zu haben.
Loredana Fabiani
Lebensqualität trotz Einschränkungen
Fünf Jahre nach dem ersten Schub kann Loredana Fabiani wieder lachen und das Leben geniessen, trotz Kompromissen. Wenn sie mit ihrem Partner Bike-Ferien macht, ist sie ein Tag im Sattel und pausiert am Tag darauf. Bei Bedarf holt sie sich auch Unterstützung, zum Beispiel beim Paintball spielen. Wenn es ihr mit steifen, schmerzenden Fingern nicht gelingt die Gasflasche auf ihren Markierer zu schrauben, übernehmen das ihre Teamkollegen.
Den Alltag hat sie sich durch verschiedene Anpassungen vereinfacht: Ein Boxspring-Bett erleichtert ihr das Aufstehen am Morgen, ein hohes Auto das Ein- und Aussteigen. Ihr wichtigstes Hilfsmittel ist aber der lange Schuhlöffel.
Lange Zeit lebte sie gut mit einer Dosis von 25mg MTX ergänzt durch das Schmerzmittel Vimovo. Dann wurden die Nebenwirkungen stärker, besonders die Übelkeit. Der Arzt schlug eine Reduktion der Dosis vor. Die Nebenwirkungen verschwanden bei 15mg, dafür nahmen die Beschwerden wieder zu. Da sie das Medikament nicht wie von ihrem Arzt vorgeschlagen wechseln wollte, begann sie andere Lösungen zu suchen. Durch Inputs aus ihrem Umfeld und im Netz wurde Loredana Fabiani auf die Rolle der Ernährung aufmerksam und begann sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Keine Regeln ohne Ausnahmen
Bei ihrem Rheumatologen stiess sie mit dem Vorschlag ihre Ernährung umzustellen auf offene Ohren. «Die Ernährungsberaterin, an die er mich überwies, berücksichtigte für meinen Speiseplan nicht nur die Erkrankung, sondern auch die Blutgruppe und die Nationalität», erklärt Fabiani, die italienische Wurzeln hat. Für ihren Körper seien beispielsweise Eier wichtig, obwohl diese entzündungsfördernd seien.
Weglassen sollte sie Schweinefleisch, Weizen, Kartoffeln, Zucker und Milchprodukte. Zwei Monate hielt sie sich strikt an die Empfehlungen und war selbst erstaunt über die Wirkung. Innerhalb von einem Monat verschwanden die Kortison bedingten Wassereinlagerungen. Auch die morgendlichen Schmerzen besserten innert kurzer Zeit. Diese Erfolge ermutigten sie weiterzumachen. Heute trinkt sie ihren Kaffee schwarz, isst Dinkelprodukte und viel Gemüse, hat Kartoffeln durch Süsskartoffeln ersetzt.
Kürbiskerne streut sie über fast jedes Menu und auch Baumnüsse und Mandeln baut sie in ihren Speiseplan ein. Zwischendurch gibt es Rindfleisch oder Poulet – und gelegentlich eine Ausnahme: «Wenn ich Stress habe, esse ich auch mal ein Stück Schokolade. Oder im Winter ein Raclette mit Speck». Die Ernährungsberaterin habe ihr gesagt, wenn es ihr gelänge, 80 Prozent der Empfehlungen umzusetzen, könne sie mit den Medikamenten schmerzfrei leben.
Tatsächlich hat Loredana Fabiani im Alltag kaum Schmerzen und das bei 15mg MTX. Nur wenn ein Schub kommt, dann machen sich ihre Problemzonen, also die Hände, die Knie oder der Rücken, bemerkbar.
Ich möchte jungen Menschen mit Rheuma zeigen, dass ihr Leben nicht einfach vorbei ist. Einen eigenen Weg zu finden ist zwar hart, aber es lohnt sich.
Loredana Fabiani
Jungen Menschen Mut machen
«Durch die Krankheit habe ich meinen Körper richtig kennengerlernt. Ich kann den akuten vom chronischen Schmerz unterscheiden und entsprechend handeln. Heute weiss ich genau, was mir wichtig ist. Ich muss nicht jeden Tag schmerzfrei sein, aber ich möchte meine Leidenschaften ausleben können», so die Rheumabetroffene. Mit ein paar Einschränkungen gelingt ihr das ganz gut.
Beim Nordic Walking oder in der Wassergymnastik trifft man Loredana Fabiani nach wie vor nicht an. Dafür beim Biken, Rennvelo fahren, auf dem Rudergerät oder eben beim Paintball spielen. Sie ist sich bewusst, dass sie trotz allem sehr viel Glück hat. Ein liebevoller Partner, der sie unterstützt und respektiert und mit dem sie auch lachen kann. Ein verständnisvoller Arbeitgeber, der ihr die nötige Flexibilität einräumt, die ihre Erkrankung erfordert. Ein offener Arzt, der mit seiner Patientin auf Augenhöhe stets die beste Lösung sucht. Und eine Therapie die wirkt.
Dass dies alles nicht selbstverständlich ist, weiss die Finanz- und Personalverantwortliche. Es ist ihr ein grosses Anliegen, andere Betroffene, insbesondere jüngere Menschen, zu ermutigen, ihren persönlichen Weg zu suchen. Dafür engagiert sie sich im Betroffenenrat der Rheumaliga Schweiz, gibt Medien, angehenden Fachleuten und anderen Betroffenen Einsicht in ihre Erfahrungen und Erkenntnisse. «Ich möchte jungen Menschen mit Rheuma zeigen, dass ihr Leben nicht einfach vorbei ist. Einen eigenen Weg zu finden ist zwar hart, aber es lohnt sich.»
Dieses Porträt wurde im Mitgliedermagazin forumR 2023/1 der Rheumaliga Schweiz publiziert.