Einblicke ins Bindegewebe

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Frau Stoff i Stock 1500602405

Oft denkt man beim Bindegewebe an Zeichen von Schwäche oder Alterung, wie Falten, Runzeln und Cellulite, erschlafftes Bindegewebe, das man aus ästhetischen Gründen «straffen» möchte.

Jedoch wirklich straffes Bindegewebe ist ein anderes Kaliber. Wir finden es in Sehnen, Bändern und Gelenkkapseln, die zusammen mit den ebenfalls aus Bindegewebe entstandenen Knochen das Stütz- und Bindegewebe des Körpers bilden.

Doch auch diese Doppelbezeichnung benennt nur die Spitze des Eisbergs. Das Bindegewebe hat wichtige weitere Funktionen, wie namentlich die Wundheilung.


Themen dieses Blogbeitrages

  • Wenig bekannte Aufgaben des Bindegewebes
  • Die Komponenten des Bindegewebes
  • Lockeres Bindegewebe
  • Dichtes Bindegewebe
  • Ausblicke
  • Faszie oder Bindegewebe?

Wenig bekannte Aufgaben des Bindegewebes

Alle Schritte der Wundheilung werden vom weichen Bindegewebe vollzogen: Wundkontraktion, Wundverschluss und Narbenbildung.

Ausserdem ist das Bindegewebe für die Regulation des Stoffwechsels zuständig. Denn auch die ganz feinen Blutgefässe reichen nicht in die Körperzellen hinein, sondern nur ins umliegende Bindegewebe. Sauerstoff und Nährstoffe aus dem Blut müssen also durch dieses Medium zu den Zellen dringen, wie umgekehrt alle Zellabfallstoffe durch das Bindegewebe in die Blutbahn.

Hinzu kommt die sensorische Funktion des Bindegewebes. So verfügen die Muskelfaszien über sechsmal mehr Bewegungssensoren und Schmerzrezeptoren als das Muskelgewebe. Das Bindegewebe ist demzufolge auch ein Sinnesorgan, speziell für die Eigenwahrnehmung (Propiozeption), die Binnenwahrnehmung (Interozeption) und die Schmerzwahrnehmung (Nozizeption).

Unter der Propiozeption versteht man die Wahrnehmung des eigenen Körpers nach dessen Lage im Raum, den Stellungen von Kopf, Rumpf und Gliedmassen zueinander sowie deren Bewegung.

Zur Interozeption zählen subjektive Empfindungen von Wärme, Enge oder Weite, Schwere oder Leichtigkeit, von Kribbeln, Pulsieren, Fliessen, spontaner Zuneigung oder sexueller Erregung.

Die Komponenten des Bindegewebes

Bindegewebe besteht aus Zellen und der extrazellulären Matrix, kurz EZM. Unter den vielerlei Zellen dominieren zahlenmässig deutlich die Fibroblasten, die die EZM-Strukturen produzieren. Die extrazelluläre Matrix selber umfasst die Grundsubstanz und zweierlei Fasern, nämlich Kollagen und Elastin.

Kollagenfasern bestehen aus drei langen Proteinketten, die sich unter Zug ineinander verdrehen und fester werden. Kollagen kann eine Zugfestigkeit von bis zu 1 Tonne pro cm2 erreichen. Elastische Fasern haben hingegen eine netzförmige Struktur. Sie können sich um bis zu 150% dehnen, um danach wieder intakt in ihren Ausgangszustand zurückzukehren. Diese beiden Fasern machen das Bindegewebe gleichzeitig fest und nachgiebig.

Wie verformbar, biegsam, gleitfähig oder klebrig das Bindegewebe ist, ist dagegen massgeblich von der Grundsubstanz abhängig. Sie ist eine Art Gel aus Wasser und Matrixmolekülen, vor allem Proteoglykanen. Diese grossen Zucker-Eiweiss-Verbindungen speichern Wasser und Nährstoffe und regulieren die elektrische Ladung des Bindegewebes sowie seinen Gewebedruck.

Auch die oben beschriebene Vermittlungsfunktion zwischen Blutbahn und Körperzelle ist der Job der Grundsubstanz. Sie bildet mit ihren Proteoglykanen ein feinmaschiges Molekularsieb, durch das der Stoffwechsel hindurch muss. Selbiges gilt für die Informationsübertragung zwischen Nervenbahn und Zelle. Auch die Enden der feinen Nerven schicken ihre elektrischen Signale durch die Grundsubstanz zur Zelle, in die sie selber nicht hineinreichen. Fassen wir zusammen. Zum Aufbau des Bindegewebes zählen:

  1. Fibroblasten und weitere Zellen
  2. kollagene und elastische Fasern
  3. Matrixmoleküle, hauptsächlich Proteoglykane
  4. Wasser

3 und 4 bilden die Grundsubstanz.
2, 3 und 4 bilden die extrazelluläre Matrix (EZM). Diese umfasst bei einem Körpergewicht von 75 kg ein Volumen von 15 Litern. Wir haben also dreimal so viel EZM wie Blut im Körper.

Lockeres Bindegewebe

Das meiste Bindegewebe im Körper zählt zum lockeren Typ. Es ist weich und zähflüssig wie ein Gel, weil die relativ wenigen Fasern von sehr viel Grundsubstanz überwogen werden.

Lockeres Bindegewebe ist überall vorhanden, speichert Wasser, füllt die Lücken zwischen Strukturen und dient freien Immunzellen als Aufenthaltsraum. Weiches Bindegewebe umgibt alle Blut- und Nervengefässe, gibt den Organen eine stabile Polsterung und lässt Muskeln geschmeidig aufeinander gleiten. Wir begegnen ihm auch in der Haut, in der Lymphe, in Schleimhäuten und Drüsen oder im formgebenden Lungengerüst (Interstitium).

Dichtes Bindegewebe

Wo Zugkräfte wirken, finden wir dichtes, straffes Bindegewebe, dessen Hauptfunktion darin liegt, Kraft weiterzuleiten und Muskeln oder Organe zu verbinden. Sein extrazellulärer Raum enthält nur ganz wenig Grundsubstanz, aber umso mehr Fasern, vor allem Kollagenfasern, ausgerichtet nach der jeweiligen Belastung.

Wirkt diese aus allen Richtungen, verlaufen die Kollagenfasern wild durcheinander, um ein ungleichmässiges Geflecht dichten Bindegewebes zu bilden. Bespiele dafür sind die Gelenkkapseln, die bindegewebige Hülle von Knochen und Knorpeln sowie die Muskelfaszien. Diese haben allerdings einen mehrschichtigen Aufbau, und pro Schicht verlaufen ihre Kollagenfasern gleichmässig, nur zusammengenommen ergibt sich ein geflechtartiges Ganzes. Man zählt die Muskelfaszien daher auch zum parallelfaserigen dichten Bindegewebe, neben den Sehnen und den Bändern.

Sehnen sind dichtes Bindegewebe, das Muskeln an Knochen befestigt; sie werden nur in einer Richtung belastet und zeigen deshalb parallel verlaufende Kollagenfasern.

Bänder sind dichtes Bindegewebe, das zwei Knochen verbindet; sie haben ebenfalls ein paralleles Kollagenmuster, aber auch einen grossen Anteil elastischer Fasern.

Knochen sind im Grunde mineralisierte Bänder, und Bänder demineralisierte Knochen. Das beweist ein simples Experiment: Legt man einen sauberen Poulet-Knochen zum Entkalken für zwei Wochen in Essig, wird er keineswegs brüchig, sondern lässt sich wie Gummi verbiegen.

Frau Faszienrolle i Stock 1254038196

Ausblicke

Überall im Körper geht weiches, regulierendes Bindegewebe in straffes, kollagenfaseriges über. Alle Bindegewebeformen hängen zusammen und bilden das fasziale System bzw. die «eine Faszie». Die Faszienforschung ist daran, deren Geheimnisse zu lüften und ein neues Licht auf Probleme und Schmerzen des Bewegungsapparates zu werfen.

Unspezifische Rückenschmerzen haben ihre Ursache vermutlich in der Lendenfaszie. Und der Umstand, dass der Kampf des Immunsystems hauptsächlich im Bindegewebe ausgetragen wird und darin seine Spuren hinterlässt, könnte auch zum besseren Verständnis von Immunstörungen beitragen. Doch dies ist Zukunftsmusik.

Faszie oder Bindegewebe?

Häufig verwendet man die beiden Begriffe gleichbedeutend, etwa in der modernen Faszienforschung, im Bereich der Faszientherapien oder im Marketing von Faszienfitness. Das ist einerseits nicht ganz falsch. Lateinisch fascia bedeutet Band, Binde, Bandage, also Bindegewebe.

Auf der anderen Seite sollte man Möglichkeiten der begrifflichen Differenzierung auch nicht leichtfertig aufgeben. Es empfiehlt sich, den Faszienbegriff auf das kollagenfaserige Bindegewebe zu beschränken.

Quellen

Schleip, R., Findley, T.W., Chaitow, L., Huijing, P.A. (Hrsg.): Lehrbuch Faszien. 1. Aufl. München: Elsevier; 2021.

Stecco, C.: Atlas des menschlichen Fasziensystems. 1. Aufl. München: Elsevier; 2016.

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