Körperliches und seelisches Leid als Inspirationsquelle? Diese These wird durch unzählige Werke aus verschiedenen künstlerischen Disziplinen untermauert. Aber auch ein kreatives Hobby kann vom Schmerz beflügelt werden und diesen umgekehrt in den Hintergrund drängen.
Text: Simone Fankhauser
Fotos: zvg
Schmerz ist ein Energiefresser. Er beeinflusst alle Lebensbereiche und vermindert deren Qualität. Trotzdem kann er auch ungeahnte Kräfte freisetzen. «Der Schmerz ist der Stachel der Tätigkeit», war der deutsche Philosoph Immanuel Kant überzeugt. Betrachtet man das umfangreiche Schaffen zahlreicher Künstlerinnen und Künstler, die an unterschiedlichen Erkrankungen litten, so bewahrheitet sich diese Theorie. Man denke nur an die Bilder der mexikanischen Künstlerin Frida Kahlo, die krankheits- und unfallbedingt körperliche und seelische Qualen litt.
Der Schmerz war nicht nur treibende Kraft hinter ihrer Kunst, er war auch zentrales Thema. Aus seinem körperlichen Leiden schöpfte auch der Rheumatiker Auguste Renoir Inspiration. Er nutzte die von Schmerzen verursachte Schlaflosigkeit zum Malen wunderschöner Aquarelle von Blumen und Früchten. Paul Rubens, Raoul Dufy, Paul Klee oder Nicki de Saint Phalle litten ebenfalls an einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung.
Auch Migränebetroffene wie Richard Wagner, Gustav Mahler oder Franz Kafka schufen trotz oder wegen ihrer Schmerzattacken ein umfangreiches Gesamtwerk. Der deutsche Philologe und Philosoph Friedrich Nietzsche, ebenfalls Migräniker, sah im Schmerz sogar den «letzten Befreier des Geistes». Die oben genannten Namen stehen exemplarisch für die lange Liste leidender Künstlerinnen und Künstler.
«Schon als Kind erkannte ich Unterschiede zwischen meinen Schmerzzuständen, je nachdem, auf was ich mich konzentrierte. Dies einzusetzen, lerne ich bis heute. Ich habe das Malen und die Kreativität gefunden. Da gelingt es mir am besten, mich vom Schmerz zu distanzieren und ihm anders zu begegnen. Je mehr ich Distanz und Nähe bewusst beeinflussen kann, um so wirksamer sind die Werkzeuge, die ich mir angeeignet habe. Malen radiert den Schmerz nicht aus. Das Scheitern und Aushalten oder seinem Frust freien Lauf zu lassen, gehört ebenfalls dazu. Es funktioniert nicht immer und das sollte man sich nicht übelnehmen. Es gibt so viele Chancen, wie es Schmerzen gibt. Das Gefühl wirksam zu sein, etwas verändern zu können, bietet dem Schmerz die Stirn.»
Kreative Auszeit
Während der Schmerz auf der einen Seite künstlerisches Schaffen beflügeln kann, wirkt sich dieses auf der anderen Seite positiv auf den Schmerz aus. Durch die vollständige Vertiefung in eine kreative Tätigkeit gelangt man nicht selten in den sogenannten Flow. In diesem Zustand befindet sich das Gehirn im richtigen Bereich zwischen Über- und Unterforderung, wodurch es sich entspannen kann. Dank dieser Entspannung tritt das Schmerzgeschehen in den Hintergrund. Im gestalterischen Prozess können zudem Gefühle wie Angst, Wut und Trauer aber auch Freude ausgedrückt und verarbeitet werden. Die kreative Tätigkeit hilft schöpferische Ressourcen zu aktivieren, wobei Selbstheilungskräfte freigesetzt werden.
Die eigene Kreativität kann als bewegende Kraft erfahren werden, die Veränderung und Wandlung auszulösen vermag. Dies geschieht dadurch, dass der Fokus und die Aufmerksamkeit vom Schmerz weggelenkt werden. Effekte, die sich auch künstlerische Therapien zunutze machen. Der Begriff «Kunsttherapie» schliesst verschiedene Fachrichtungen mit ein, wie beispielsweise Gestaltungs- und Maltherapie, Musiktherapie, Sprach- und Dramatherapie oder Tanz- und Bewegungstherapie. Entsprechende Angebote sind oft Bestandteil interdisziplinärer Schmerzprogramme.
Sie können als Einzel- oder Gruppensitzungen durchgeführt werden. Es braucht aber nicht zwingend eine künstlerische Therapie oder Talent, um im Alltag schmerzarme Momente zu erleben. Auch ein kreatives Hobby, das mit Freude ausgeübt wird, kann den gleichen Effekt haben. Das Ergebnis muss in keiner Weise publikumstauglich sein. Vielmehr geht es um die oben beschriebenen Prozesse, die dem Gehirn – dem Entstehungsort von Schmerz – eine Auszeit schenken.
«Sowohl beim Bratsche spielen wie auch beim Zeichnen und Malen kann ich in eine andere Welt abtauchen – nur schon dieses Abschalten stärkt mich. Zusätzlich treten die Schmerzen etwas in den Hintergrund, ich nehme sie weniger stark wahr. Die Bewegungen und die Vibrationen, die beim Spielen des Instruments entstehen, helfen mich physisch zu entspannen. Aber auch das Zeichnen und Malen bringt mir Entspannung, die meistens mehrere Stunden anhält.
Die Tätigkeiten helfen mir, auf andere Gedanken zu kommen. Es stärkt mich psychisch, wenn ich sehe, dass ich etwas erschaffen kann. Manchmal tut es auch einfach gut mir den Frust von der Seele zu malen. Ich besuchte auch Einzel-Maltherapiestunden, die mir halfen, eine schwierige Therapiezeit zu bewältigen. Dadurch konnte ich Ruhe in mir finden.»
«Wenn ich tanze, lassen mich die Musik und die Bewegungen die Schmerzen und Einschränkungen für einen Moment vergessen. Beim Schreiben meiner Geschichten tauche ich in eine andere Welt ein. Meine Gedanken schweifen weit weg von den Schmerzen in eine spannende, fantasievolle Geschichte. Mit der Kunst verhält es sich ähnlich: Auch beim Zeichnen und Gestalten geniesse ich die Ruhe und Umlenkung meiner Gedanken auf das künstlerische Schaffen.
Bei allen drei Tätigkeiten erhalte ich trotz Aufwand im Vorfeld viel Energie und Freude geschenkt. Sie lassen mich für Momente meine Schmerzen vergessen und in andere Welten eintauchen. Sie leiten meine Gedanken weg vom Schmerz hin auf meine Leidenschaften. Ich erfreue mich am Erschaffenen oder am Lachen und der Freude anderer und vergesse dabei meine schlechten Tage.»
Dieses Porträt wurde im Mitgliedermagazin forumR 2023/3 der Rheumaliga Schweiz publiziert.