
Unter welchen Bedingungen ruft eine Kniearthrose nach einer chirurgischen Lösung? Prof. Dr. med. Markus Arnold äussert sich im Interview über Teil- und Totalprothesen sowie neue Verfahren wie die Gelenkdistraktion und die Knorpelzell-Transplantation. Weitere Themen: Arthroskopien, das «forgotten knee» und das Kunstgelenk aus dem 3D-Drucker.
Jedes Jahr werden in der Schweiz mittlerweile über 27'000 Knieprothesen implantiert.1 Zu häufig und zu früh, meinen kritische Stimmen. Prof. Dr. med. Markus Arnold verteidigt das künstliche Kniegelenk. Es habe seinen Platz im therapeutischen Spektrum. Aber: Knie und Patient, Knie und Patientin müssten für den Eingriff «reif» sein.
Rheumaliga Schweiz: Wann ist ein Knie reif fürs Kunstgelenk?
Prof. Dr. med. Markus Arnold: Zum einen, wenn wir auf dem Röntgenbild eine weit fortgeschrittene Arthrose erkennen: massiven Knorpelabbau, deutliche Knochenschäden (Knochenzysten) und eine Fehlstellung der Knochen zueinander (Subluxationsstellung). Hinzu kommen Beschwerden im Einklang mit diesem Bild: Das Knie ist geschwollen, in seiner Beweglichkeit behindert und verursacht Schmerzen, die keine andere Therapie unter Kontrolle hat bringen können. Dann ist ein Knie reif für einen Protheseneinbau.
Rheumaliga Schweiz: Und wann ist die betroffene Person «operationsreif»?
Arnold: Wenn sie sich nach gründlicher Beratung, in Kenntnis der Chancen und Risiken, häufig nach Einholung einer Zweitmeinung, für ein künstliches Gelenk entscheidet. Diese Entscheidung muss heranreifen. Es gibt keinen Grund zur Eile. Die Erfahrung zeigt, dass wir die besten Ergebnisse erzielen, wenn das Kniegelenk und die betroffene Person zum Zeitpunkt des Protheseneinbaus wirklich reif sind für den Eingriff. Und auch wenn wir keine strikten Altersgrenzen ziehen, ist es günstig, wenn der Patient oder die Patientin ein biologisches Alter von etwa sechzig Jahren hat.
Rheumaliga Schweiz: Trotzdem ist jede fünfte Person mit dem Ergebnis unglücklich.
Arnold: Ja, gemäss Statistiken sind 20% bis sogar 30% der am Knie Operierten mit der empfangenen klassischen Totalprothese unzufrieden. Aber mittlerweile erzielen manche Kliniken und Praxen weit bessere Resultate. Unserem Team ist es gelungen, den Anteil Unzufriedener auf gegen 5% zu senken, auch dank dem Einsatz individueller, massgefertigter Implantate.
Rheumaliga Schweiz: Die Eingriffe sind selten minimal-invasiv. Muss das sein?
Arnold: Ja, Knieprothesen müssen millimetergenau eingepasst und ausgerichtet werden, sonst gibt es keine guten Resultate. Deshalb operieren wir am Knie nicht minimal-invasiv, sondern wählen in der Regel einen klassischen, etwas grösseren Zugang. Wir müssen uns den nötigen Raum schaffen, um das Ganze überblicken zu können. Kommt dazu: Die Haut ist viel weniger dehnbar, als man meint, und stark gedehnte Haut am Knie kann die Wundheilung stören.
Rheumaliga Schweiz: Gilt dies auch für Teilprothesen?
Arnold: Jein, bei einer Teilprothese wird der Schnitt kürzer. Aber auch hier gilt: Entscheidend ist nicht, ob die Narbe einen Zentimeter kürzer oder länger ist; am Ende der Operation muss das Kunstgelenk perfekt passen.
Teilprothesen kommen zum Zug, wenn die Schmerzen eindeutig mit nur einem Teil des Kniegelenks zu tun haben: vorne, aussen oder innen. Die Operation ist weniger eingreifend und die operierte Person wieder schneller auf den Beinen. Ein weiterer Vorteil: Sie behält das normale Gelenkgefühl, hat weniger das Empfinden, einen Fremdkörper im Knie zu haben. Andererseits kann die Arthrose weitere Teile des Kniegelenks befallen. Dann wird später doch noch eine Totalprothese nötig.
Rheumaliga Schweiz: Was für Komplikationen sind bei einer Knie-OP zu bedenken?
Arnold: Wie bei vielen anderen Operation sind verschiedene Komplikationen möglich: Infektionen, Nachblutungen, Thrombosen in den tiefen Beinvenen, Nervenverletzungen. Generell ist die am meisten befürchtete Komplikation, dass sich die Implantate langfristig lockern. Weitere problematische mögliche Operationsfolgen sind ein instabiles Knie, ein steifes, kaum mehr bewegliches Knie oder ein schmerzendes Knie. Und speziell bei einer Teilprothese kann sich die Arthrose später aufs Restgelenk ausdehnen.
Rheumaliga Schweiz: Woraus bestehen die Implantate?
Arnold: Knieprothesen bestehen aus bewährten Materialien wie chirurgischem Stahl und Titan sowie hochvernetztem Polyethylen. Deswegen ist das Kunstgelenk etwa 300 Gramm schwerer als das natürliche Gelenk.
Rheumaliga Schweiz: Die Autoren der «Arthrose-Lüge» sagen, dass auch das Kunstgelenk verschleisse. Der Feinstaub-Abrieb diffundiere in den Körper, erhöhe die Belastung mit Plastik und Schwermetallen.2 Wie beurteilen Sie dieses Risiko?
Arnold: Zugegeben, die Polyethylen-Teile der in den 80er, 90er Jahren eingebauten Knieprothesen waren tatsächlich Verschleissteile, deren Abrieb zu Entzündungen im Gelenk führten. Das war schlimm für die Betroffenen. Aber dieses Problem ist bei den heutigen Werkstoffen und einem korrekten Einbau der Implantate nicht mehr zu befürchten.
Rheumaliga Schweiz: Gemäss Leitlinien soll man erst operieren, wenn alle nicht-operativen Therapien ausgeschöpft wurden. Wie sieht die Praxis aus?
Arnold: Allgemein regelkonform. Die konservativen Behandlungsmöglichkeiten geniessen Vorrang. Je nachdem kann schon früh ein gelenkerhaltender operativer Eingriff in Erwägung gezogen werden. Aber ein Gelenkersatz durch eine Teil- oder Totalprothese wird definitiv erst ein Thema, wenn das Knie die «radiologische Reife» und der Patient die «psychologische Reife» zum Kunstgelenk mitbringen. Ausschlaggebend ist der Leidensdruck.
Rheumaliga Schweiz: Neuerdings macht das neuromuskuläre Trainingsprogramm GLA:D dem künstlichen Kniegelenk Konkurrenz. Gemäss einer Studie verwerfen zwei Drittel der Kandidatinnen und Kandidaten für eine Knieprothese nach zwei Jahren Training die Option Kunstgelenk.3 Was halten Sie von GLA:D?
Arnold: GLA:D ist eine spannende Sache und ganz im Sinne unserer Philosophie. Alle Trainings und Therapien, die bei einer Kniearthrose helfen, die Schmerzen zu reduzieren und die Lebensqualität zu verbessern, sind zu empfehlen. Umso besser, wenn OP-Kandidatinnen und -Kandidaten abspringen, weil sie die Probleme ihrer Kniearthrose anderweitig lösen oder so sehr entschärfen können, dass sie die Operation um Jahre hinauszögern können. Wie gesagt, die besten Ergebnisse erzielen Knieprothesen, die zum richtigen Zeitpunkt eingebaut werden, wenn die betroffene Person und das Knie dafür reif sind.
Rheumaliga Schweiz: Wie gründlich werden die Patienten über Vor- und Nachteile eines Gelenkersatzes aufgeklärt?
Arnold: Allgemein sehr gründlich. In unserer Chirurgen-Praxis sind zwei bis drei Sprechstunden à 30 Minuten mit dem Kniechirurgen üblich. Zusätzlich haben wir die sachlichen Informationen auf unserer Website deutlich ausgebaut. Man darf und soll auch eine Zweitmeinung einholen. Zudem besteht bei uns im Unterschied zur Onkologie kein Zeitdruck. Die Kniechirurgie richtet sich ganz nach den Terminwünschen der Patientin bzw. des Patienten, es geht um Lebensqualität oder Arbeitsfähigkeit, nichts Lebensbedrohliches.

Rheumaliga Schweiz: Was sind die häufigsten Befürchtungen der Patientinnen und Patienten?
Arnold: Manche fürchten heftige Schmerzen nach der Operation oder dass sie das Knie dann nicht mehr wie vorher beugen und bewegen können. Aber generell sind weniger Bedenken vorhanden als vielmehr falsche Bilder in den Köpfen. Der Begriff Totalprothese ist irreführend. So meinen viele, dass der Chirurg grosse Knochenteile herausamputiere. Dabei beschränkt sich die Knieprothese auf die dünnen Oberflächen der beiden Gelenkpartner.
Rheumaliga Schweiz: Wie lange dauert die Nachbetreuung?
Arnold: Es ist nicht getan mit der Operation und ein paar Wochen Reha. Wir raten unseren Patientinnen und Patienten, sich mit Geduld zu wappnen. Die ersten sechs Wochen nach dem Eingriff stehen ganz im Zeichen des operierten Knies. Und es dauert vier bis zwölf Monate, bis Normalität einkehrt, man nicht mehr daran denkt, eine Prothese aus Stahl und Kunststoff im Knie zu haben («forgotten knee»).
In der Nachbehandlungsphase sind Physiotherapie und ein angemessenes Bewegungs- und Belastungsprogramm ein Muss. Und während dieser ganzen Zeit kann sich die Patientin oder der Patient mit seinen Fragen per E-Mail an seinen Operateur wenden, jedenfalls handhabe ich das so.
Rheumaliga Schweiz: Welche gelenkerhaltenden Eingriffe bietet die moderne Kniechirurgie?
Arnold: Allen voran die Knorpelzell-Transplantation. Diese Technologie ist dem experimentellen Stadium längst entwachsen, hat einen festen Platz in der gelenkerhaltenden Therapie. Allerdings ist sie nur unter gewissen Bedingungen sinnvoll. So muss gleichzeitig die Beinachse stimmen bzw. korrigiert werden. Und die Kreuzbänder müssen stabil und die Menisken intakt sein. Aus diesem Grunde beschränkt sich die derzeitige Anwendung der Knorpelzell-Transplantation auf scharf begrenzte, kleinflächige Knorpelschäden, wie sie sich vor allem jüngere Personen bei Sportunfällen zuziehen.
Rheumaliga Schweiz: Sie ist also keine Arthrose-Therapie?
Arnold: Genau. Knorpelzellen zu verpflanzen, ist (noch) keine Option beim grossräumigen Knorpelabbau einer degenerativen Arthrose. Der Grund dafür liegt in der entzündlichen Komponente der Arthrose. Entzündungen schaffen ein für Knorpelzell-Transplantationen ungünstiges Klima im Gelenk.
Rheumaliga Schweiz: Gelenkspiegelungen (Arthroskopien) wirken bei einer Kniearthrose nicht besser als Placebo-Eingriffe. Warum werden sie immer noch angewandt?
Arnold: Ja, die Arthroskopie ist der Dinosaurier unter den gelenkerhaltenden Eingriffen. Aber sie ganz zu verbieten, wäre falsch. Es gibt Fälle, wo es sinnvoll und wirksam ist, das Kniegelenk zu spülen und eingerissenes Gewebe zu entfernen. Zum Beispiel bei Meniskusrissen, die Beschwerden verursachen. Aber bei einer Kniearthrose hat die Arthroskopie definitiv ausgedient als eine Behandlungsmethode.
Rheumaliga Schweiz: Die Holländer verzeichnen verblüffende Erfolge mit der Kniegelenkdistraktion. Wie steht es um die Anwendung dieses gelenkerhaltenden Eingriffs in der Schweiz?
Arnold: Ja, die Gelenkdistraktion ist eine verblüffende Technik. Es läge an den Universitätskliniken, sie in der Schweiz einzuführen. Aber ich sehe auch noch eine kulturelle Hürde. Wie viele Schweizerinnen und Schweizer haben die holländische Coolness, sich mit einem so auffälligen Gestell rund ums Knie auf der Strasse zu bewegen? Ich habe mehrere Jahre in den Niederlanden gearbeitet und bin ein Fan der Gelenkdistraktion. Aber die Kandidatinnen und Kandidaten für diese Technik sollten maximal fünfzig Jahre alt sein. Sie eignet sich nicht für die grosse Gruppe der älteren Menschen mit einer Kniearthrose. Es geht auch hierbei darum, Zeit zu gewinnen, bevor dann die Prothese zum Einsatz kommt.
Rheumaliga Schweiz: Wohin entwickelt sich die moderne Kniechirurgie?
Arnold: Der Trend geht zur individuellen, massgefertigten Prothetik. Uns stehen massgefertigte Totalprothesen zur Verfügung, die der Anatomie des einzelnen Person präzise angepasst sind. Möglich wird dies durch neue Techniken wie das 3D-Druckverfahren. Das hat mitgeholfen, die Zufriedenheitsquote zu verbessern. Gerne verweise ich auf unsere Studie von 2024.4
Rheumaliga Schweiz: Woran forschen Sie?
Arnold: Wir verfolgen die Resultate unserer Knie-Operationen seit 2016 mit validierten Fragebogen, den sogenannten PROMS. So konnten wir in unserer 2024 veröffentlichten Studie zeigen (und das hatten wir wirklich nicht erwartet), dass wir inzwischen mit den Massprothesen am Knie ein ähnlich hohes Zufriedenheitsniveau erreichen, wie wir dies von den Hüftgelenken her kennen.
Rheumaliga Schweiz: Zum Schluss: Was sind die Chancen der Kniechirurgie?
Arnold: Haben die nicht-operativen Behandlungsmöglichkeiten keinen Erfolg gebracht, vermag die Kniechirurgie im besten Fall Beschwerdefreiheit, Beweglichkeit und Belastbarkeit zurückzugeben. Die genauen Ziele sind individuell zu bestimmen. Jeder hat eigene Vorstellungen von Lebensqualität. «Was haben Sie wegen der Kniearthrose aufgegeben?», frage ich meine Patientinnen und Patienten. «Und was würde Sie gerne wieder machen können? Wanderferien? Tennis spielen? Mit den Enkeln fussbällelen?» Im Idealfall macht das operierte Knie die gewünschten Aktivitäten wieder mit – und sich als «forgotten knee» nicht weiter bemerkbar.
Prof. Dr. med. Markus Arnold ist Spezialist für Kniechirurgie in der Praxis MEIN KNIE in Münchenstein BL und Luzern.
Datum des Interviews: 11. Juni 2019
Aktualisierung: 15. April 2025
Anmerkungen
- Schweizerisches Implantat-Register siris. Abrufbar über diesen Link. Letzter Aufruf: 14.04.2025
- Liebscher-Bracht R, Bracht P. Die Arthroselüge. Warum die meisten Menschen völlig umsonst leiden – und was Sie dagegen tun können, 1. Auflage. München: Goldmann Verlag; 2017, S. 112.
- Skou ST, Roos EM, Laursen MB, Rathleff MS, Arendt-Nielsen L, Rasmussen S, Simonsen O. Total knee replacement and non-surgical treatment of knee osteoarthritis 2-year outcome from two parallel randomized controlled trials. Osteoarthritis and cartilage 2018; 26(9): 1170-1180. – Zur Einordnung dieser Studien siehe Walter, MM. Kniearthrose. Insiderwissen eines Physiotherapeuten. 1. Auflage. Norderstedt: Books on Demand; 2018, S. 57-62.
- Vogel N, Kaelin R, Arnold MP. Custom total knee arthroplasty with personalised alignment showed better 2-year functional outcome compared to off-the-shelf arthroplasty. Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc. 2024 Dec;32(12):3220-3229. doi: 10.1002/ksa.12309. Epub 2024 Jun 17. PMID: 38881354; PMCID: PMC11605013. PubMed-Link.
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