
Persönlich – reflektiert – ehrlich! Das ist die neue Kolumne der Rheumaliga Schweiz, geschrieben von Céline Unternährer. Ursprünglich gedacht für unser Mitgliedermagazin forumR schreibt Céline Unternährer aus Ihrem Leben als Betroffene eines seltenen Gendefekts, gewährt Einblicke in Ihren Alltag und lässt uns an Ihren Gedanken teilhaben. Lesen Sie hier immer die neueste Ausgabe online.
Autorin: Céline Unternährer
Ich und meine Krankheit – oder wir?
Februar 2025
Lebe ich mit meiner Krankheit, ist es ein wir oder sind wir gar eins? Was ist wohl der beste Umgang? Diese Fragen beschäftigen mich öfters. Manchmal ist es ein Nebeneinander und manchmal ein Zusammen.
Wenn ich die Sichtweise: «Ich UND meine Krankheit» wähle, spüre ich eine klare Abgrenzung zwischen meiner Person und der Erkrankung. All das, was mich als Mensch früher, als die Erkrankung noch weniger einnehmend war, ausgemacht hat, bleibt bei dieser Ansicht bestehen. Zusätzlich kommt die Krankheit dazu. In dieser Denkweise kann die Krankheit besser ignoriert werden, jedoch verschwindet sie nicht und nimmt dennoch Raum ein. Lässt sich dies also wirklich so scharf voneinander trennen? Aus meiner Sicht eher nicht. Für mich ist es mehr ein «wir», denn die Krankheit beeinflusst mich als Person und umgekehrt beeinflusse ich mit all meinen Handlungen, Glaubenssätzen und Haltungen meine Erkrankung.
Trotzdem hätte ich manchmal gerne eine klarere Trennung: «Ich UND meine Krankheit». Mit dem Wunsch, die Krankheit auf die Seite zu schieben und einfach nur «ich» zu sein. Doch «ich» beinhaltet nun schon seit ziemlich langer Zeit eben auch die Erkrankung, denn von meiner chronischen Krankheit kann ich keine Pause machen.
In all den Jahren habe ich erfahren, dass ein «wir» für mich die Voraussetzung zu einem gesunden Umgang mit der Krankheit ist. Ich versuche, Wege zu finden, die es mir ermöglichen, gut mit ihr und den damit verbundenen Folgen und Einschränkungen klarzukommen. Denn ein Kampf gegen die Krankheit und somit gegen meinen eigenen Körper zu führen, verbraucht unnötige Energie. Viel wichtiger ist es, zu wissen, wann ich dringend auf die Krankheit hören muss, wenn sie sich lautstark meldet und Raum in meinem Leben einfordert. Das Zuhören hat sich über die Jahre geschärft. Ich habe gelernt, früher hinzuhören, auf die leisen Anzeichen und Hinweise zu achten und ihr und eben gleichzeitig auch mir die erforderliche Aufmerksamkeit zu geben. Dadurch gelingt es mir, Schübe frühzeitig zu erkennen, notwendige Massnahmen zu ergreifen und Schmerzen zu minimieren. Zudem kann ich so Zeiträume für das Leben abseits der Erkrankung finden. Es ermöglicht mir, schöne Momente zu geniessen, Herausforderungen des alltäglichen Lebens zu meistern und Erinnerungen zu schreiben.
Über die Jahre habe ich erkannt, dass ein «wir» nicht ein «eins» bedeutet, in dem ich von der Krankheit vollständig eingenommen werde und das «ich» verschwindet. Denn im «wir» gibt es noch das «ich» mit all meinen Eigenschaften, Stärken und Schwächen, die mich als Person einzigartig machen.
Wenn ich das Haus verlasse, treffen mich viele Blicke, denn durch meine Erkrankung falle ich auf: mein Elektrorollstuhl, die Orthesen und Verbände und die Maske als Infektionsschutz lassen sich nicht verstecken. Ich werde gesehen und von der Gesellschaft aber auch von der Ärzteschaft als Kranke wahrgenommen. Niemand würde über mich behaupten, ich sei gesund. Solchen Behauptungen sind Menschen mit von aussen nicht sichtbaren Erkrankungen ausgesetzt, was die Mehrheit der Kranken in der Schweiz betrifft. Die Personen sehen von aussen gesund aus und oftmals wird die völlig falsche Schlussfolgerung gezogen: Gesund aussehen gleich gesund sein.
Doch von aussen nicht sichtbare Erkrankungen können genauso belastend, herausfordernd und quälend sein. Meine Krankheit ist eine Mischung aus sichtbaren und nicht sichtbaren Krankheitszeichen und am allermeisten quälen mich die nicht sichtbaren, chronischen Schmerzen. Ein Symptom, welches mir von aussen niemand ansieht, aber für mich extrem viel Raum einnimmt. Personen, die eine von aussen nicht sichtbare Erkrankung haben, müssen dafür kämpfen, dass sie mit ihrer Krankheit ernst genommen und gesehen werden. Ja oftmals wird gar gefordert, dass sie ihre Erkrankung beweisen müssen, um als krank zu gelten, denn unsichtbar gleich nicht existent. Ein sehr anstrengendes und mühsames Unterfangen, das viel Energie kostet, und die Ignoranz, die sehr schmerzen kann.
Doch beide Formen von Krankheiten können auch Vorteile haben. Von aussen nicht sichtbare Erkrankungen lassen sich verstecken oder in gesellschaftlich erforderlichen Situationen überspielen. Man kann untertauchen in die Welt der Gesunden. Durch eine sichtbare Krankheit erlebe ich hingegen, dass ich ernster genommen werde, mir oft spontan und ohne grosses Zögern Hilfe angeboten wird und mit mir sorgsamer umgegangen wird. Doch oftmals wird vorschnell über mich geurteilt und mir viel zu wenig zugetraut. Denn die sichtbaren Krankheitszeichen scheinen so präsent und einschneidend zu wirken, dass man mich als Person unterschätzt oder vergisst.
Dauernd aufzufallen, kostet auch sehr viel Energie, denn ich kann meine Erkrankung nie verstecken. Ich wünschte mir manchmal, nicht permanent anders zu sein, aufzufallen und Mitleid zu erregen, unter dem Radar zu verschwinden, in der Menge der Gesunden. Also in der Menge, in der Personen mit von aussen nicht sichtbaren Krankheiten unter- und vergessen gehen!
Zur Kolumnistin
Céline Unternährer – 29-jährig, leidet an einem extrem seltenen Gendefekt, welcher ihren Alltag vor über vier Jahren so ziemlich auf den Kopf gestellt hat. Der Perspektivenwechsel von ihrem Beruf als Pflegeexpertin zu selbst chronisch krank sein eröffnet ihr neue Sichtweisen. Tagtäglich erfährt sie, mit welchen Hürden und Hindernissen Menschen mit Einschränkungen konfrontiert sind. Dies motiviert sie, sich für eine bessere Inklusion und eine hindernisfreiere Umwelt einzusetzen.