Die Aussage, er müsse mit den Schmerzen leben lernen, veranlasste Gerhard Stampfler, seine Ernährung umzustellen. Doch erst in Ergänzung mit einem intensiven körperlichen Training brachte die Ernährungsumstellung eine dauerhafte Besserung seiner Beschwerden. Dafür in einem Ausmass, das selbst seinen Rheumatologen staunen lässt.
Text: Simone Fankhauser, Fotos: Susanne Seiler
«Morgens esse ich grundsätzlich nur Rohkost», sagt Gerhard Stampfler und schiebt sich eine Traube in den Mund. Sein Frühstück besteht neben den Trauben aus einem Apfel und einer Banane. Dabei hat der 67-Jährige bereits 20 Minuten Gymnastik hinter sich.Trotzdem verzichtet er strikt auf Gekochtes oder Gebackenes. Bei den übrigen Mahlzeiten macht er mittlerweile auch Ausnahmen – zum Beispiel für einen Gemüsegratin oder ein Stück Brot. Fleisch kommt aber nie auf den Teller.
«Ich weiss nicht mehr, wie ich die Ernährungsumstellung durchgehalten habe», sagt Stampfler und kaut nachdenklich ein Stück Apfel. Es sei sehr hart gewesen, nicht nur auf körperlicher Ebene. Auch mit seiner Frau und den drei Kindern hätte es immer wieder Konflikte gegeben. Freunde und Bekannte scheuten sich vor Einladungen, weil sie nicht wussten, was sie kochen sollten. Seiner Familie zuliebe verfolgt er das Rohkost-Konzept heute nicht mehr so radikal wie in den ersten Jahren.
Unmöglich, mit dem Schmerz zu leben
Angefangen hat alles mit Beschwerden im Knie. Damals war der gelernte Metallbauschlosser aus dem solothurnischen Meltingen 35 Jahre alt. Schubweise kamen Schmerzen im Kreuz und im Nackenbereich dazu. Die Ärzte konnten Gerhard Stampflers Leiden keinen Namen geben. Stattdessen bekam er zuhören: «Sie müssen lernen, mit diesen Schmerzen zu leben.»
Unmöglich, sagte er sich und suchte Alternativen. Eine fand er in der Ernährung. Auf seinen Teller kamen nur noch Früchte und Gemüse, die man roh essen kann sowie Nüsse. Den daraus resultierenden Vitamin B12-Mangel kompensierte er mit entsprechenden Präparaten. «Am Anfang fühlte ich mich noch schlechter. Ich war viel erkältet, weil sich alles löste.» Erst nach etwa neun Monaten ging es langsam aufwärts. Trotzdem kamen die Schmerzen wieder. Im Jahr 2000 waren die Rückenbeschwerden so stark, dass der Hausarzt ihn zum Röntgen ins Spital schickte. Die Vermutung des Radiologen wurde kurz darauf von einem Rheumatologen in Reinach bestätigt:«‹Ja, Sie haben Morbus Bechterew›, sagte er mir und das war auch schon die ganze Aufklärung», erzählt Stampfler.
Schleichende Verschlechterung
Da er mit der Diagnose nichts anfangen konnte, nahm er sie auch nicht ernst. Die Beschwerden verschwanden wieder und der damals 50-Jährige dachte, so schlimm könne es ja nicht sein. Die nachfolgenden Schübe waren viel schwächer, weshalb die Verschlechterung seines Zustandes schleichend kam. Irgendwann war sein Nacken so steif, dass er beim Autofahren den Kopf nicht mehr ausreichend drehen konnte.
2004 meldete sich die Krankheit mit einem erneut heftigen Schub zurück. «Ich konnte nicht mehr liegen, weil mir der Nacken bei der kleinsten Bewegung höllisch wehtat», so Stampfler. Der Hausarzt überwies ihn erneut an die rheumatologische Praxis in Reinach, die mittlerweile von einem jungen Arzt geführt wurde. Dieser eröffnete seinem Patienten, dass Morbus Bechterew unheilbar sei und man durch konsequente Bewegung versuchen müsse, eine Verschlechterung zu verhindern. Zu diesem Zeitpunkt konnte Gerhard Stampfler den Kopf noch etwa 30 Grad nach links und 40 Grad nach rechts drehen. Beim Atmen dehnte sich sein Brustkorb gerade mal drei Zentimeter weit. Obwohl sein Hausarzt immer von «chronischer Krankheit» gesprochen hatte, wurde dem damals 54-Jährigen erst mit dem Wort «unheilbar» die Tragweite seines Zustandes bewusst.
Physiotherapie, Velofahren und Bechterew-Gymnastik
Er verliess die Praxis mit einer Physiotherapie-Verordnung, einem Medikamenten-Rezept und dem Willen, den Status quo nicht nur zu halten, sondern zu verbessern. Mit eiserner Disziplin begann Gerhard Stampfler zuhause zu turnen, am Anfang zwischen 20 und 30 Minuten täglich, fünfmal pro Woche. Heute ist es eine Stunde pro Tag, verteilt auf verschiedene Einheiten. Einmal in der Woche überprüft er mit der Physiotherapeutin, ob sich Fehler in die Bewegungsabläufe geschlichen haben. Zusätzlich trifft er sich jeden Donnerstag mit anderen Betroffenen zur Bechterew-Gymnastik in Sissach. Die rund 30 Kilometer lange Strecke von seinem Wohnort Meltingen in die baselländische Ortschaft fährt er mit dem Velo. Rennrad und Bike sind zu seiner grossen Leidenschaft geworden: Wann immer möglich ist er auf zwei Rädern unterwegs, alleine oder mit dem Veloclub VMC Regio Laufen.
Erfolg als Motivation
Dass er mit seinen gesunden Clubkollegen mithalten kann, verdankt er auch einem speziellen Atemtraining. «Über meine Kinder, die intensiv Leichtathletik betrieben haben, bin ich auf den ‹Spiro-Tiger› gestossen.» Nach einer ausführlichen Instruktion habe er mit fünf Trainingsminuten pro Tag angefangen. Mittlerweile trainiert Gerhard Stampfler je 20 Minuten an drei aufeinanderfolgenden Tagen. Danach pausiert er einen Tag. «In zweieinhalb Jahren konnte ich mein Lungenvolumen um 4,5 Deziliter steigern. Die Dehnung meines Brustkorbes beim Atmen hat sich um einen ganzen Zentimeter erweitert. »Das Atem-Training beschert Stampfler somit nicht nur eine bessere Kondition, sondern wirkt auch der Verknöcherung der Rippen entgegen, die seine Atmung einschränkte.
Fit wie noch nie
Heute, 13 Jahre nach dem letzten heftigen Schub, ist Gerhard Stampfler so fit wie noch nie. Dank dem konsequenten Bewegungsprogramm hat sich auch seine Haltung verbessert und der Bewegungsradius im Nacken wieder vergrössert. Die angepasste Ernährung, so ist er überzeugt, trägt dazu bei, dass er seit gut drei Jahren keinen Schub mehr hatte und keine Medikamente nehmen muss. «Es gab eine Zeit, da fand ich mein Leben nicht mehr lebenswert», gesteht der frischgebackene Grossvater und setzt seinen Velohelm auf. «Heute muss ich sagen, Gottlob habe ich Bechterew. Ich hätte nie angefangen so intensiv Sport zu treiben.» Der Erfolg sei auch seine Motivation weiterzumachen. Selbst sein Rheumatologe staune, wie sehr sich sein Zustand verbessert habe. Dass man sein Beispiel nicht auf alle Betroffenen anwenden kann, ist Gerhard Stampfler sehr wohl bewusst. «Ich bin angefressen, ich gebe es zu. Aber die eigene Gesundheit sollte jedem mindestens eine halbe Stunde pro Tag wert sein», sagt er und schwingt sich auf sein Rennrad.
Artikel erstmals erschienen im forumR November 2017